Sagen Sie mal, Frau Merbeth... schaffen wir den Green Deal?

Das neue Klimaschutzgesetz der Bundesregierung, der European Green Deal, die Fridays-for-Future-Bewegung – sind wir eigentlich auf dem richtigen Weg? Wir sprachen mit einer, die es wissen muss: Wiebke Merbeth, Mitglied im Sustainable Finance-Beirat der Bundesregierung und Leiterin Nachhaltigkeit bei der BayernInvest.

Es ist keine Frage des „Ob“, sondern des „Wann“ und „Wie“. Je länger wir warten, desto teurer wird der Weg hin zu einem klimaneutralen Europa und desto stärker wird uns das Thema einholen, und zwar mit immer größerer Wucht.

Als Mitglied im Sustainable Finance-Beirat der Bundesregierung tragen Sie maßgeblich dazu bei, Deutschland nachhaltiger werden zu lassen. Was sind die Aufgaben des Beirats?

Unser Auftrag ist klar definiert. Wir beraten die Bundesregierung und entwickeln für sie konkrete Handlungsempfehlungen dafür, wie Deutschland zu einem führenden Standort für Sustainable Finance werden kann. Wenn man so will, sind wir ein Katalysator für nachhaltiges Wirtschaften. Das Spektrum möglicher Maßnahmen liegt zwischen Planwirtschaft und Marktwirtschaft. Wenn die nachhaltige Transformation erfolgreich sein soll, müssen wir alle Akteure der Finanzindustrie, Realwirtschaft, Wissenschaft und öffentlichen Hand mobilisieren.

Der Beirat wurde im Juni 2019 ins Leben gerufen. Was sind die ersten Ergebnisse?

Vor wenigen Wochen haben wir unseren Zwischenbericht veröffentlicht. Lassen Sie mich nur ein Beispiel herausgreifen. Wir empfehlen, dass große, aber auch kleinere Unternehmen ihre Berichtspflichten über die Nachhaltigkeit ihrer Geschäfte ausbauen. Warum? Nur so wird nachhaltiges Wirtschaften transparent und Investoren können Risiken besser einschätzen. Wichtig dabei ist, dass keine neuen Belastungen für Unternehmen entstehen. Das Gegenteil ist der Fall. Es geht um neue Chancen: Wer nachhaltig wirtschaftet, handelt zukunftsorientiert, stärkt seine Marktposition und wird auf lange Sicht noch wettbewerbsfähiger.

Wie geht die Beiratsarbeit voran?

Das Engagement von allen 38 Beiratsmitgliedern ist enorm hoch. Vielleicht liegt das auch daran, dass ich selten ein so emotionales und kompromissloses Thema, wie die Nachhaltigkeit es ist, erlebt habe. Ich denke, wir sind uns dessen sehr bewusst, dass es am Ende um nichts weniger geht als die Rettung unseres Planeten. Aktuelle Diskussionen drehen sich um die grundsätzliche Frage, welche Standardindikatoren für Nachhaltigkeit relevant sind. Benötigen wir kostspielige Intermediäre oder gründen wir eine öffentlich zugängliche Rohdatenbank, die für alle die nötige Klarheit schafft? Letztendlich ist doch aber das Wichtigste: Wir alle arbeiten am gleichen Ziel, Ideen und Vorschläge zu entwickeln, um Deutschland weltweit und in Europa als Vorreiter für nachhaltiges Wirtschaften zu etablieren. Welchen Beitrag ein Gremium hier positiv leisten kann, hat nicht zuletzt die sehr erfolgreiche Arbeit der EU-Expertenkommission zum nachhaltigen Finanzwesen gezeigt.

Welche Rolle haben politische und wirtschaftliche Akteure?

Die Politik muss zweifelsohne die Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Transformation der Wirtschaft derart ausgestalten, dass die Marktkräfte bestmöglich für den Klimaschutz wirken können. Es geht nicht um Planwirtschaft, sondern darum, einen Rahmen zu schaffen, in dem eine Planbarkeit für die Realwirtschaft möglich ist. Ein fairer Preis für CO2-Emissionen macht Sinn, weil er externe Effekte internalisiert und so eine notwendige Signalwirkung auf alle Branchen entfaltet. Unternehmen können dann selbst entscheiden, wie sie in diesem Rahmen handeln und wie sie sich zukünftig aufstellen.

Was bedeutet das konkret für Unternehmen?

Unternehmen müssen sich darüber klar sein, dass heute nicht nur ihr Produkt, sondern auch Informationen zu Umweltthemen, zu sozialen Themen und zu Unternehmensführungsthemen über den Verkauf entscheiden. Wenn wir als verantwortungsvolle Konsumenten einkaufen gehen, wird es sich zukünftig viel mehr um Fragen drehen wie: Wo kommt die Baumwolle für die Produktion einer Hose her und wie viel Wasser wurde verbraucht? Unternehmen, die dies berücksichtigen, zählen zukünftig zu den Gewinnern.

Müssen wir, neben dem Klima, nicht auch die beiden anderen ESG-Komponenten, also Soziales und Governance, viel stärker beim Transformationsprozess berücksichtigen?

Ja, auf jeden Fall. Für mich gehören „E“ (Environmental) und „S“ (Social) sogar in die „G“ (Governance)-Komponente. Nur wenn die Unternehmensführung die Klimarisiken versteht und Klimaziele auf der Ebene der Unternehmensführung verpflichtend eingehalten werden, kommen wir richtig voran. Alle ESG-Komponenten müssen fester Bestandteil einer Balanced Scorecard sein, mit der ein Unternehmen eben auch nachhaltig ausgesteuert wird.

Mit welchen Nachteilen müssen Unternehmen rechnen, die nicht nachhaltig arbeiten?

Die Frage ist hier, ob der Bäcker um die Ecke von seiner Bank keine Finanzierung mehr erhält, weil er nicht nachhaltig wirtschaftet. Natürlich wird er weiterhin mit einer Finanzierung rechnen können. Aber er wird sie zukünftig einfacher und günstiger erhalten, wenn er auf Nachhaltigkeitsthemen eine Antwort hat. Er wird dann auch besser Nachwuchskräfte für seine Firma rekrutieren können. Und er wird mehr Kunden gewinnen. Nachhaltigkeit ist schon heute ein unschlagbares Verkaufsargument.

Für einen nachhaltigen Weg trägt die Finanzwirtschaft eine besondere Verantwortung. Denn sie kann das Geld in Kapitalanlagen lenken, die den Klimawandel stoppen oder ihn weiter anheizen. Aktuell beläuft sich das von allen deutschen Fondsgesellschaften verwaltete Vermögen auf rund 3.398 Milliarden Euro. Ein gewaltiger Hebel, oder?

Genau dieser Verantwortung müssen wir uns stellen. Die Mobilisierung privater und öffentlicher Investitionen wird erfolgsentscheidend sein. Auf institutionellen Anlegern wie Pensionsfonds oder Versicherungen liegen dabei besondere Hoffnungen. Deren Interesse ist nach Erfahrungen der BayernInvest tatsächlich groß. Denn der Green Deal kann die Chancen-Risiken-Bilanz nachhaltiger, klimafreundlicher Investments deutlich verbessern. Fondsgesellschaften sollten aber auch ihren Einfluss auf börsennotierte Unternehmen beispielsweise auf Hauptversammlungen noch viel stärker geltend machen.

Sollten Gelder aus den sogenannten schmutzigen Industrien nicht besser sofort abgezogen werden?

Wenn wir auf der politischen Ebene von einer Transformation sprechen, die nicht innerhalb von drei Monaten durchgearbeitet ist, dann kann sie auf der Portfolioebene und in der Finanzindustrie nicht von heute auf morgen passieren. Aus ökonomischer Sicht führt eine zu schnelle nachhaltige Transformation zu unerwünschten disruptiven Effekten. Schmutzige, also nicht nachhaltige Industrien laufen so Gefahr, zu gestrandeten Vermögenswerten zu mutieren. Wir reden hier nach aktuellen Schätzungen von 20 bis 27 Billionen Dollar. Eine unglaubliche Summe. Ein Wirtschaftsabschwung und eine Insolvenzwelle wären die Folgen. Wir müssen deshalb ökonomische, soziale und ökologische Aspekte intelligent abwägen und austarieren.

Die EU-Taxonomie fördert das Vertrauen in nachhaltige Finanzprodukte. Sehen Sie die Gefahr von Fehletikettierungen, die womöglich eine Investitionseuphorie entfachen, die blind macht für Risiken?

Wir befinden uns aktuell in einer Phase, die die Transparenz bereits verbessert hat und sicher noch weiter verbessern wird. In solchen Übergangszeiten gibt es häufig Überziehungen, das ist normal. Ich glaube, Greenwashing ist unser kleinstes Problem. Wenn wir uns damit beschäftigen, dann haben wir den Kern nicht erkannt.

Kostet ein Investment in nachhaltige Finanzprodukte eigentlich Rendite?

Wenn ich alle Nachhaltigkeitsansätze in ein Portfolio einbeziehe, die uns der Markt zurzeit bietet, dann wird dies tatsächlich zu Renditeeinbußen führen. Anders ausgedrückt: Wenn ich für jemanden koche, der glutenunverträglich, Veganer und zudem noch Low-Carb-Anhänger ist, dann bleibt der Teller recht überschaubar. Wenn ich mich aber auf einen bestimmten Nachhaltigkeitsansatz konzentriere, werde ich auch die Risiken im Griff haben und eine gute Performance erzielen können. Langzeitstudien belegen eindeutig, dass die risikoadjustierte Rendite nachhaltiger Investments überzeugt.

Müssen die wirtschaftlichen Akteure eigentlich noch viel lernen in Sachen Nachhaltigkeit?

Wir dürfen nicht mit dem Zeigefinger auf andere deuten, um sie wegen etwaiger Defizite in Sachen Nachhaltigkeit zu diffamieren. Das wäre der komplett falsche Weg! Meines Erachtens braucht es ganz viel Aufklärung, die das Bewusstsein für nachhaltiges Wirtschaften schärft. Die Klimaaktivistin Greta Thunberg mag umstritten sein, aber eines hat sie geschafft: uns den Spiegel vorzuhalten, wo wir heute beim Klimaschutz stehen. Fakt ist, wir alle müssen uns mit Nachhaltigkeit beschäftigen. Sie greift in alle Lebensbereiche ein. Was habe ich beispielsweise davon, wenn ich monatlich in meine fondsgebundene Altersvorsorge einzahle und davon dann in 20 Jahren ein Drittel weg ist, weil es bestimmte Branchen nicht mehr gibt, die eben nicht nachhaltig gewirtschaftet haben.

Wie geht es weiter mit der Nachhaltigkeit? Sehen Sie neue Themen auf uns zukommen?

Aktuell befinden wir uns noch in der einfachen Phase der Nachhaltigkeitsdiskussion. Alles läuft letztendlich auf Transparenz und Kommunikation hinaus. Die nächsten Ebenen werden viel komplexer. In Zukunft wird es bei Nachhaltigkeit um ethische Themen gehen. Müssen Mitarbeiter eines Pharmaunternehmens in einer Viruskrise für den gesamtgesellschaftlichen Nutzen weiter arbeiten gehen, obwohl sie damit sich und ihre Familien einem deutlich höheren Ansteckungsrisiko aussetzen? Und will ich in solch einem Unternehmen investiert sein? Wir werden zunehmend an ethische Grenzen stoßen. Wir brauchen in Zukunft ein weiteres „E“ – „E“ für Environmental und „E“ für Ethik.

Von Thomas Bundschuh

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