Vom Wert guter Unternehmensführung

Unethisches Verhalten von Unternehmen straft der Kapitalmarkt ab, zwar mit Zeitverzögerung, dafür aber konsequent und andauernd. Gute Unternehmensführung avanciert damit zunehmend zum Erfolgsfaktor zukunftsfähiger Unternehmen – neben klimafreundlichem Wirtschaften und der Einhaltung sozialer Pflichten.

Keine Frage. Die Corona-Pandemie hat die globale Wirtschaft in die Knie gezwungen. Die harten Fakten schockieren, die ökonomischen Folgen sind historisch. Dennoch, so zynisch es auch klingen mag: Selten gibt es einen Schaden, in dem man nicht auch einen Nutzen findet. Und selten ein Risiko, in dem nicht auch eine Chance liegt. Die Corona-Krise legt schonungslos offen, was sich bisweilen unter dem einen oder anderen unternehmerischen Deckmantel geschickt verbergen konnte.

Das zeigt nicht zuletzt das Beispiel eines Sportartikelherstellers: Ende März kündigte Adidas an, wegen der Corona-Krise seine Mietzahlungen für die geschlossenen Filialen im Folgemonat auszusetzen. Das Management stützte sein Vorgehen juristisch auf ein neues Gesetz der Bundesregierung. In der Öffentlichkeit jedoch erntete das Vorgehen unverhohlene Kritik. Schlimmer noch, in den sozialen Medien wurde dazu aufgerufen, die Produkte mit den drei markanten Streifen zu meiden.

Nur wenige Tage später ruderte der erfolgreiche Dax-Konzern zurück. Adidas-Chef Kasper Rorsted räumte Fehler ein und rückte von den angekündigten Plänen ab. Nur kam zu diesem Zeitpunkt die öffentliche Entschuldigung zu spät. Der massive Imageschaden war nicht wiedergutzumachen.

Was war passiert? Das Beispiel zeigt in aller Deutlichkeit auf, dass eine ökonomisch begründete Gewinnmaximierung heute mehr denn je auch mit gesellschaftlichen, sozialen und ethischen Zielen verbunden werden sollte, wenn nicht sogar muss. Nicht falsch verstehen: Rentabilitätsberechnungen behalten auch in Zukunft ihre unverzichtbare Daseinsberechtigung. Und natürlich bleibt auch der Blick auf die Bilanz das A und O jeglicher Geschäftstätigkeit.

Aber: Die aktuelle Führungsriege wird nicht umhinkommen, Shareholder-Value-Ziele um Stakeholder-Value-Aspekte zu ergänzen. Was denken die Gesellschaft und die politischen Akteure, was denken die nach Sinn verlangenden jungen Berufseinsteiger über ein Unternehmen? Verhält sich eine Firma den Konsumenten und den Mitarbeitern gegenüber wertschätzend? Sind sich die Entscheider ihrer Verantwortung in der Zulieferkette ebenso bewusst wie des ungeschriebenen Generationenvertrags? Franz Dohnal, verantwortlich für Nachhaltigkeit bei der BayernLB, betont: „Im Unternehmensdialog zählen immer mehr auch die sozialen und gesellschaftlichen Positionen und nicht nur die Leistung, das Produkt, der finanzielle Erfolg. Es geht darum, auch ideell Verantwortung zu übernehmen. Und wie immer bei Verantwortung, gerade dann, wenn eine klare Ausrichtung und starke Schultern gesucht werden. Diese Verantwortung beeinflusst den Unternehmenserfolg maßgeblich und ist deshalb in der Kundenbeziehung in hohem Maße zu berücksichtigen.“

Unethisches Verhalten wird abgestraft
Diese Differenzierung verfolgt die aktuelle Studie „It’s bad to be bad! – Börsenreaktionen bei unethischem Verhalten“ der Technischen Universität (TU) Darmstadt. Sie zeigt stringent auf, dass der Kapitalmarkt Fehlverhalten von Unternehmen konsequent abstraft. Was heißt Fehlverhalten? Hier rekurriert die Studie auf die drei bekannten Buchstaben E, S und G, also Environment, Social und Governance. Soll heißen, die Analyse richtet ihren Blick darauf, inwieweit Unternehmen täglich einen verantwortungsvollen Umgang mit ESG-Aspekten leben. Studienleiter Professor Dr. Dirk Schiereck von der TU Darmstadt: „Es geht nicht darum, jemandem einen moralischen Spiegel vorzuhalten. Es geht vielmehr um die Beweisführung, welche harten ökonomischen Konsequenzen ein unethisches Verhalten nach sich zieht.“ Der Fachbegriff hierfür lautet: Corporate Social Irresponsibility. Wer sich unethisch verhält, verstößt gegen Governance, also gute Unternehmensführung, sowie soziale Vorgaben. Ökologisches Fehlverhalten zählt ebenfalls dazu, wird aber, so Prof. Dr. Schiereck, vom Kapitalmarkt interessanterweise weniger kritisch bewertet.

Diese Erkenntnis ist das Ergebnis statistisch signifikanter Auswertungen von 206 relevanten Ereignissen bei 30 börsennotierten Unternehmen aus Asien, Europa und Nordamerika im Zeitraum von 2009 bis 2019. Eine Menge Arbeit für Prof. Dr. Schiereck, der tatkräftig von Raouf Ben Mohamed, Absolvent der TU Darmstadt in Wirtschaftsingenieurwesen, unterstützt wurde. Im Fokus ihrer datengetriebenen Recherchen standen die Aktienkursreaktionen auf bekannt gewordene Fälle von Corporate Social Irresponsibility in den drei Segmenten „Bekleidung“, „Sportartikel und Schuhe“ sowie „Luxusgüter“. Unethisches Verhalten wurde in fünf Kategorien unterteilt: anstößiges und kontroverses Verhalten, inakzeptable Arbeitsbedingungen, Verstöße gegen Menschenrechte, Verstöße gegen die Unternehmensethik (z. B. Korruption, Steuerhinterziehung, Veruntreuung) sowie Umweltschäden.

Governance-Kriterien dominieren zunehmend
Das Fazit: Unethisches Verhalten von Unternehmen straft der Aktienmarkt über negative Renditen zwar langsam, aber fortwährend ab und es stößt bei Verbrauchern auf Ablehnung. Diese Reaktionen haben in den vergangenen Jahren stetig zugenommen, in den beiden letzten Jahren sogar überproportional. 

In konkreten Zahlen: Über den gesamten Datensatz zeigt sich eine Kursreaktion von minus 0,33 Prozent amTag unmittelbar nach einem Ereignis. Das klingt noch gut verdaulich. Allerdings kumuliert dieser Abschlag nach 30 Handelstagen auf 1,72 Prozent. Ein differenzierter Blick offenbart sogar noch stärkere Kursreaktionen nach 30 Handelstagen für Verstöße speziell gegen die Unternehmensethik (–3,42 Prozent) sowie anstößiges und kontroverses Verhalten (–2,07 Prozent).

Prof. Dr. Schiereck: „Eine Fokussierung in der künftigen Berichterstattung vorwiegend auf den Bereich Umwelt erscheint vor dem Hintergrund dieser Befunde nicht angemessen. Soziale und Governance-Kriterien haben hier einen stärkeren Einfluss auf die Unternehmensbewertung.“

Interessant ist auch die Unterteilung nach geografischen Regionen. Sie zeigt, dass bei unethischem Verhalten Kapitalmarktreaktionen bei europäischen Unternehmen langsamer als in Nordamerika erfolgen, dafür aber ein stärkeres Ausmaß erreichen. Asiatische Unternehmen dagegen lassen bisher überhaupt keine statistisch signifikanten Börsenreaktionen erkennen. Und noch eine Aussage hinsichtlich der Segmente ist bemerkenswert: Unternehmen mit starken Marken aus der Luxusgüterbranche müssen bei Fehlverhalten schmerzhafte Kursabschläge von bis zu –3,39 Prozent hinnehmen, solche aus der Sportartikel- und der Schuhbranche immerhin noch bis zu –2,27 Prozent.

Vom ESG zum GSE?
Die Ergebnisse der Studie zeigen einen unübersehbaren Trend. Was sich in den vergangenen Jahren mehr und mehr in den Köpfen nachhaltig agierender Wirtschaftsakteure unter dem Akronym „ESG“ manifestierte, könnte vielleicht bald eine neue Gewichtung erfahren. Werden wir in Zukunft etwa von „GSE“ statt von „ESG“ sprechen? Beginnend mit dem G, um der Bedeutung von Governance gerecht zu werden?

Alexander Mertz, Sprecher der Geschäftsführung der BayernInvest, ist überzeugt: „Nur wenn die Unternehmensführung die Risiken erkennt und versteht, die aus sozialem Fehlverhalten oder der Klimakrise resultieren, sind ein verantwortungsvoller Umgang und damit nachhaltiges Wirtschaften gesichert. Nachhaltigkeitsthemen müssen deshalb in der Unternehmensführung verankert und fester Bestandteil jeder Balanced Scorecard werden.“ Dies mit einem Fokus auf Unternehmensführung, transparenter Kommunikation und internen Maßstäben für soziale Themen.

Unternehmen, die diesen Weg gehen, profitieren mehrfach. Als zentrale Säule von Corporate Governance richtet sich der Fokus auf die Kapitalallokation. Es geht um Aktienrückkaufprogramme, die nur kurzfristig profitabel wirken, nicht aber – und schon gar nicht in Krisenzeiten – den langfristigen Erfolg eines Unternehmens sichern können. Es geht nicht zuletzt um überzogene Bonuszahlungen für einige wenige.

Das ist Liquidität, die in Krisenzeiten Arbeitsplätze sichern kann und hilft, Kurzarbeit zu vermeiden. Und es geht auch um das Stichwort soziale Taxonomie, beispielsweise im Sinne einer einheitlichen und gerechten Vergütung von Beschäftigten und Führungskräften. Das sichert die so wichtige Loyalität von Arbeitnehmern gegenüber ihrem Unternehmen, um bald wieder durchstarten zu können. Roland Reichert, Bereichsleiter Sparkassen & Finanzinstitutionen bei der BayernLB, betont ebenfalls, dass der Kapitalallokation in diesen Zeiten eine besondere Bedeutung zukommt. „Wir analysieren die Bilanzen unserer Kunden noch detaillierter und verknüpfen Liquiditäts- und Mittelverwendung mit sozialen und Governance-Themen.“

Resiliente Geschäftsmodelle
ESG-orientierte Unternehmen profitieren auch von der Investorenseite. Sie geben Kapitalanlegern Argumente für ihr Investment und überzeugen mit einer besseren risikoadjustierten Rendite und einem krisenfesten und damit zukunftsfähigen Geschäftsmodell. Zu diesem Ergebnis kommt ein aktuelles Papier von Scope Analysis. Die Ratingagentur nahm die Wertentwicklung von mehr als 2.000 in Deutschland zum Vertrieb zugelassenen Aktienfonds für das erste Quartal 2020 genau unter die Lupe.

Das Ergebnis: Aktienfonds, die bei der Auswahl der Unternehmen auch nachhaltigkeitsbezogene Chancen und Risiken berücksichtigen, haben sich in der Corona-Krise als robuster gegenüber Wertverlusten gezeigt als ihre konventionellen Pendants. Die Gründe für die höhere Widerstandsfähigkeit von Nachhaltigkeitsfonds sieht Scope Analysis insbesondere in der Branchenallokation der Aktienfonds. So sind Branchen, die wie die Luftfahrt oder der degenerative Energiesektor von der Krise besonders betroffen sind, in Nachhaltigkeitsfonds häufig untergewichtet oder sogar ausgeschlossen. Zum anderen ermöglicht eine Integration von ESG-Kriterien in den Investmentprozess, systematisch Unternehmen zu identifizieren, die besonders zukunftsfähige und damit auch in Krisenzeiten robuste Geschäftsmodelle haben.

Knapp 300 Jahre nach Carl von Carlowitz, der für die Forstwirtschaft den Begriff Nachhaltigkeit definierte, ist ihr Prinzip heute im kollektiven Bewusstsein angekommen. In ihrem vollen thematischen Spektrum ist sie längst keine Option mehr, sondern empfiehlt sich mehr denn je als Leitbild eines neuen kategorischen Imperativs für zukunftsorientiertes ökonomisches Handeln.

Von Thomas Bundschuh und Wiebke Merbeth

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