Durch Nachhaltigkeit wettbewerbsfähiger

Nachhaltige Investmentstrategien sind schon lange nichts Neues mehr. Alexander Mertz und Wiebke Merbeth von BayernInvest erläutern, wie entscheidend ESG-Kriterien im Asset-Management sind und wie ihr Unternehmen Anleger in diesem Bereich unterstützt.

 

Aktuell ist auch für Investoren die Corona-Krise das beherrschende Thema. Werden ESG-Strategien dadurch vernachlässigt?

Alexander Mertz: Im Gegenteil. Durch die Krise ist das Interesse an ESG-Strategien eher noch gestiegen. Auf dem bisherigen Höhepunkt der Corona-Pandemie standen bei den Investoren zwar erst einmal andere Punkte im Fokus, doch inzwischen geht der Blick wieder über den Tellerrand hinaus – und dabei spielen ESG-Strategien eine zentrale Rolle. ESG ist längst keine Kür mehr, sondern Pflicht.
Wiebke Merbeth: In den vergangenen Wochen haben die Investoren erlebt, dass die Wertentwicklung nachhaltiger Strategien risikoadjustiert besser ist. Diese bessere Performance und die damit offensichtlich robusteren Portfolios sind der Grund, warum sich jetzt noch mehr Anleger für die Integration von Nachhaltigkeit im Portfolio entscheiden.
Mertz: Für uns ist die aktuelle Situation der Anknüpfungspunkt, noch tiefer in das Thema einzusteigen und gemeinsam mit unseren Kunden zu reflektieren, wo neue Allokationen möglich und Umschichtungen erforderlich sind.

Nach dem Motto „Besser spät als nie“?

Mertz: Bei der BayernInvest beschäftigen wir uns schon seit vielen Jahren mit nachhaltigen Investmentstrategien. Aber auch unsere Kunden entdecken das Thema nicht erst heute. Allein 2019 flossen 70 Prozent unserer Neukundengelder in nachhaltige Strategien.
Merbeth: Durch die Corona-Krise bekommen ESG-Strategien allerdings eine neue Qualität. Corona ist insofern auch für nachhaltige Strategien eine Zäsur. Der Scheinwerfer richtet sich dabei nicht allein auf ökologische Fragestellungen, sondern erweitert sich auf Governance-Themen. Es geht zunehmend auch um verantwortungsbewusste Unternehmensführung.

Was bedeutet das für Ihre Arbeit als Asset-Manager?

Merbeth: Im Asset-Management schauen wir noch genauer hin, wie die Unternehmen ihr Kapital allokieren. Verwenden sie ihr Kapital für Bonuszahlungen oder zur Aufstockung einer Kriegskasse, um beispielsweise Kurzarbeiterprogramme zu vermeiden? Werden Aktienrückkaufprogramme in einer Zeit gestoppt, in der die Stabilität des Unternehmens oberste Priorität haben sollte? Welche Maßnahmen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz der Belegschaft werden ergriffen? Solche Fragen haben wir schon immer gestellt, aber jetzt sind sie umso wichtiger.

Das klingt nach erweiterter fundamentaler Analyse.

Merbeth: Die vergangenen Monate haben uns noch einmal ganz deutlich vor Augen geführt, wie wichtig die fundamentale Analyse ist, und dass Unternehmen mit sehr guten ESG-Werten besser performen, weil man ihnen eher zutraut, durch diese Krise zu steuern.
Mertz: Im Grunde genommen unterscheiden sich ESG-Strategien nicht von traditionellen fundamentalen Investmentprozessen. Es geht vielmehr immer darum, Potenziale zu suchen und herauszufiltern. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um ein finanzielles Potenzial handelt oder um ein nachhaltiges Potenzial. Ganz im Gegenteil. Beides ist unmittelbar miteinander verbunden.
Merbeth: Wir filtern jene Unternehmen heraus, die bestimmte Werte beachten, ihr Handeln daran ausrichten und aus diesem Grund besonders gute Zukunftsaussichten reflektieren. Diese Prüfung war schon immer Teil unseres Investmentprozesses, wird heute allerdings noch systematischer verfolgt.
Mertz: Ein Großteil unseres Geschäfts findet im institutionellen Bereich statt. Dabei lautet die zentrale Frage schon lange nicht mehr, ob, sondern wie Nachhaltigkeit integriert wird.

Wie sieht so ein Prozess in der Praxis aus?

Mertz: Wir gehen mit jedem institutionellen Investor in die Diskussion, welche nachhaltigen Kriterien in welcher nachhaltigen Strategie wie berücksichtigt werden sollen. Dabei spielt Qualität eine wichtige Rolle, weil sich diese in der Robustheit der Unternehmen, ihrer Cashflows und Strukturen niederschlägt. Wo wir alle Freiheitsgrade haben, setzen wir Nachhaltigkeit konsequent in der Anlagestrategie um.

Können Sie ESG-Anlagelösungen individuell auf die Bedürfnisse Ihrer Kunden zuschneiden?

Mertz: Zunächst einmal wollen wir unsere Kunden verstehen und Transparenz schaffen. Wir analysieren dazu ihr Portfolio. Wenn wir dann sehen, wo ein Kunde steht, etwa mit dem CO2-Abdruck seines Portfolios, überlegen wir im nächsten Schritt gemeinsam, wo es hingehen soll. So gesehen ist Nachhaltigkeit im institutionellen Geschäft sehr individuell, aber auch sehr beratungsintensiv.

Können Sie hierfür konkrete Produkte nennen?

Merbeth: Nehmen wir als Beispiel unsere drei Aktiennachhaltigkeitsfonds der DKB, die wir managen. Im Fokus stehen Unternehmen, die den Klimaschutz stärken, die als ESG-Vorreiter überzeugen oder die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen verfolgen. Alle drei Fonds konnten in der Corona-Krise einen Performancevorteil erzielen. Das verstehen wir unter robusten Portfolios und resilienten Geschäftsmodellen.

Einige ESG-Investoren wollen Einfluss auf das Management von Unternehmen im Portfolio nehmen. Wie halten Sie es damit?

Merbeth: Voting und Engagement sind ein geeigneter und machtvoller Hebel – aber nur dann, wenn man eine eigene Nachhaltigkeitspolitik formuliert hat, entsprechend große Anlagevolumina hinter einem versammelt sind oder eine große mediale Aufmerksamkeit damit einhergeht. Nachhaltiger Erfolg lässt sich hier nur mit einem hohen Aufwand erreichen.

Wie kann ein erfolgreicher Weg aussehen?

Merbeth: Wir nutzen sehr aktiv unsere Mitgliedschaft in der Initiative „Principles for Responsible Investment“ der Vereinten Nationen. Dadurch können wir im Schulterschluss mit anderen Investoren und Investorengruppen Stellung beziehen. Ich persönlich halte die UN-Prinzipien für ein sehr wirksames Mittel, weil sie weltweit Beachtung finden und alle drei Bereiche nachhaltigen Investierens abdecken. Aber ich betone auch, dass dies als Manager, der wirkungsorientiert agiert, nicht ausreicht. Deshalb stellen wir uns im Bereich Stewardship, also Engagement und Voting, noch in diesem Jahr neu auf.

Verlangen Ihre Kunden, dass Sie gegenüber den Unternehmen bestimmte Themen vertreten?

Mertz: Es ist derzeit nicht so, dass die Investoren uns beauftragen, bei den Unternehmen bestimmte nachhaltige Forderungen zu stellen. Welche Bedürfnisse unsere Kunden haben, hängt stark von der Kundengruppe ab. Kirchliche Investoren zum Beispiel haben ihre eigenen Initiativen, die gerade im Bereich nachhaltige Kapitalanlagen sehr prominent agieren.

Werden die Unternehmen von den Investoren zum nachhaltigen Wirtschaften getrieben?

Mertz: Getrieben werden sie zum einen durch die Regulierung, zum anderen durch ihre Stakeholder. Wenn Unternehmen bestimmte Kundengruppen erreichen oder qualifizierte Nachwuchskräfte rekrutieren möchten, dann kommen sie am Thema ESG nicht vorbei.
Merbeth: Kapitalanlageentscheidungen sollen auch die Fortschritte der Unternehmen bei ihrer nachhaltigen Transformation honorieren. Der Best-in-Progress-Ansatz gewinnt deshalb für uns immer stärker an Bedeutung. Wir wählen also nicht nur die Emittenten aus, die schon ein hohes Niveau erreicht haben, sondern auch jene, die auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit besonders gut vorankommen. Wir möchten sehen, dass das Unternehmen einen Transformationsprozess angestoßen hat und wollen es auf dem Weg begleiten und unterstützen.

Wird es künftig Branchen geben, die am Aktienmarkt zurückfallen, weil sie durch das ESG-Raster fallen?

Mertz: Das ist das Risiko der gestrandeten Vermögenswerte, das Sie ansprechen. Nehmen Sie zum Beispiel die Energieversorger. Unter ESG-Gesichtspunkten ist das ein Problemsektor, aber viele Unternehmen dieser Branche legen das Ruder um. Natürlich braucht es seine Zeit, bis Windräder oder Speicher für erneuerbare Energien einsatzbereit sind. Aber die Chance zu einer Transformation fällt dann ungleich höher aus.
Merbeth: Unter dem Strich geht es Investoren natürlich um Performance, also um eine stabile risikoadjustierte Wertentwicklung. Aber es geht auch um Marktpreise. Wenn in der Vergangenheit ökologische Aspekte in der Analyse berücksichtigt wurden, reflektierte sich dies nicht in der Kursentwicklung. Das ändert sich jetzt.

Können Sie das näher erläutern?

Merbeth: Wir brauchen die Lenkungswirkung des Preismechanismus: Die Aktie einer Fluggesellschaft wird für einen Investor deutlich teurer, wenn Sie die Kosten der Sensitivität zum Klimawandel bis hin zur Klimakompensation inkludieren. Solche Kosten müssen Investoren künftig nicht nur für Umwelt-, sondern auch für soziale und Governance-Themen miteinbeziehen.
Mertz: Wir sind der Ansicht, dass die Unternehmensführungen neben den Umweltaspekten viel mehr soziale und Governance-Punkte in ihrer ESG-Scorecard verankern müssen. Diese Ziele müssen mit hoher Priorität und größter Verantwortung umgesetzt werden. Es geht vor allem um ein Bewusstsein auf allen Ebenen – für uns und für die Unternehmen.

Welche Rolle spielt hier die Politik?

Merbeth: Die Regulierung ist der Treiber schlechthin – auch für die Frage, ob es sich ein Unternehmen überhaupt leisten kann, nicht nachhaltig zu wirtschaften. Wir müssen neu definieren, nach welchen Messgrößen Unternehmen künftig gesteuert werden. Das beinhaltet auch, dass ein Unternehmen ebenfalls bei der Zuliefererkette in die Pflicht genommen wird.

Die EU hat allerdings nur ökologische Aspekte im Fokus.

Merbeth: Da sehe ich aktuell aber viel Bewegung. Langsam wird auch die EU für soziale Komponenten sensibilisiert. Wenn wir ESG ganzheitlich verfolgen wollen, werden wir an einem Mehr an Regulierung nicht vorbeikommen.

Wie groß ist die Gefahr, dass die deutsche Wirtschaft durch die Regulierung ins Hintertreffen gerät?

Mertz: Die Idee hinter den Plänen der EU ist, eine widerstandsfähige Wirtschaft mit zukunftsfähigen Geschäftsmodellen zu etablieren. Wenn man überzeugt ist, dass nachhaltige Unternehmen solider aufgestellt sind, dann werden Deutschland und Europa langfristig sogar resilienter und wettbewerbsfähiger werden.

Zum Artikel im Magazin TiAM