Konjunktur und Märkte: Zwischen Liquiditätsentzug und politischen Risiken

Von Bernhard Grünäugl, Volkswirt und Makro Stratege der BayernInvest Kapitalverwaltungsgesellschaft mbH

Geldpolitisch ist derzeit eher Langeweile angesagt, politische Entwicklungen dominieren das Börsengeschehen. Wir sind optimistisch, dass die Emerging Markets (EM)-Turbulenzen der letzten Wochen von temporärer Natur bleiben und halten entsprechend an unserer Sicht fest, dass Bundesanleihen zum Jahresende höher rentieren und auch Aktien über den derzeitigen Niveaus das Jahr beenden.

EZB und Fed bleiben auf Kurs

Trotz globaler Konjunkturrisiken verfolgen EZB und Fed weiter in aller Ruhe ihre kommunizierte Strategie. Erstere wird das Anleihekaufprogramm im 4. Quartal erneut reduzieren und zum Jahresende schließlich ganz einstellen, letztere hat erst vor wenigen Tagen an der Zinsschraube gedreht und nähert sich dem langfristig neutralen Satz weiter an.

Politische Faktoren gewinnen wieder an Gewicht

Dafür hat der Einfluss politischer Faktoren an den Kapitalmärkten wieder an Bedeutung gewonnen: Das Haushaltsdefizit in Italien bleibt ein Unsicherheitsfaktor, der die Renditen italienischer Anleihen maßgeblich bestimmt. Auch die Zollpolitik der USA wird trotz der zuletzt eingekehrten trügerischen Ruhe weiter mit Argusaugen verfolgt.

Handelsstreit: Spielraum für weitere Eskalation

Unter den US-Wählern scheint die Zustimmung zu Trumps Politik mit eskalierender Handelsrhetorik zu steigen, während die Entspannung der letzten Wochen scheinbar in dieser Hinsicht nicht nützlich war. Es ist also zu befürchten, dass in den nächsten Wochen die vermeintlichen außenpolitischen Gegner erneut verbal (bzw. per Twitter-Nachrichten) angegangen werden. Denn im Vorfeld der für November anstehenden US-Mid-Term-Wahlen sehen sich die Demokraten im Aufwind, während Trumps Republikaner an Boden verlieren und vermutlich die Mehrheit im Repräsentantenhaus werden abgeben müssen. Die im August getroffenen vagen Absichtserklärungen zwischen Trump und Juncker, wonach höhere EU-Importe von Soja und LNG (= Liquefied Natural Gas) US-Einfuhrzölle auf europäische Automobile verhindern sollen, bieten ohne weitere Konkretisierung jedenfalls ausreichend Spielraum für eine neuerliche Eskalation.

Brexit-Verhandlungen weiter schwierig

Auch in Sachen Brexit gestalten sich die Verhandlungen weiter schwierig. Und selbst wenn in den kommenden Wochen eine grundsätzliche Einigung zwischen EU und britischer Regierung gelingt, bleibt fraglich, ob Theresa May zum Jahresende noch in Amt und Würden ist, um ein entsprechendes Abkommen zu unterzeichnen. Auch hier dürfte also unter den Kapitalmarktakteuren vorerst weiter die Skepsis überwiegen.

Schwache Aktienmärkte in Europa und feste Bundesanleihen, deren Renditen im 10-jährigen Bereich sich in den letzten Monaten beharrlich unter der Marke von 0,5 % hielten, belegen dies eindrucksvoll. Generell fällt eine Zwischenbilanz der Kapitalmarktentwicklung  für 2018 ernüchternd aus. Praktisch kein Anlagesegment kann einen positiven Return vorweisen, einzig die bereits zu Jahresbeginn als relativ teuer geltenden US-Aktien kletterten nahezu unbeirrt in neue Rekordhöhen.

Zentralbanken entziehen Kapitalmarkt Liquidität

Im Gegensatz zu den vergangenen Jahren sind der Risikotoleranz an den europäischen Märkten in diesem Jahr scheinbar enge Grenzen gesetzt und die Flucht in sichere Häfen entsprechend besonders reizvoll. Dass die weltweit führenden Zentralbanken in Summe damit begonnen haben, dem Kapitalmarkt Liquidität zu entziehen ist dabei sicherlich ebenfalls ein gewichtiger Faktor. Insbesondere mit Blick auf die EM-Turbulenzen zeigt die Wende der Geldpolitik deutliche Spuren. 

Emerging Markets Konjunkturdaten per Saldo seitwärts

Im Rahmen unseres Investment-Komitees haben wir intensiv darüber debattiert, ob die EM-Turbulenzen das globale Makro-Bild zum Kippen bringen und wir unsere Markteinschätzung grundlegend überarbeiten müssen. Gerade für die traditionell eng mit der Weltwirtschaft vernetzten europäischen Volkswirtschaften würde ein Einbruch des EM-Wachstums signifikante Konsequenzen haben. Bislang deuten die zuletzt veröffentlichten Konjunkturdaten aus den verschiedenen Emerging Markets allerdings per Saldo noch darauf hin, dass der Wachstumsvorsprung gegenüber den entwickelten Ländern erhalten bleibt. Negative Überraschungen in einzelnen Ländern wurden bislang durch etwas bessere Daten aus anderen Teilen der Welt ausgeglichen. Überraschungsindikatoren für EM-Konjunkturdaten bewegen sich per Saldo entsprechend seitwärts.

EM-Zentralbanken setzen positives Signal

Auch das entschlossene Gegenlenken vieler EM-Zentralbanken auf die – gemessen an der fundamentalen Entwicklung überhöhte FX-Abwertung der letzten Monate – ist ein positives Signal. Zwar werden höhere Realzinsen in den kommenden Quartalen konjunkturelle Bremsspuren hinterlassen, andererseits aber mittelfristig das Vertrauen der Investoren in die jeweilige Geldpolitik stärken. Der viel gefürchtete „Sudden Stop“ ausländischer Finanzierungsströme sollte dadurch verhindert werden können.

Schlussendlich sollte sich in den kommenden Monaten auch das Ende des Fed-Zinserhöhungszyklus abzeichnen und den EM-Währungen von dieser Seite etwas Anpassungsdruck genommen werden.  Die Kapitalreallokation hin zum US-Raum dürfte an Schwung verlieren, sobald die relative Attraktivität der US-Anlagen nicht weiter zunimmt.

Tendenziell weniger Zinsschritte der Fed

In diesem Punkt ist dann doch wieder die Fed-Zinspolitik entscheidend. Mit nachlassendem Steuerimpuls wird sich auch weiterhin die Gefahr eines Überschießens der US-Inflationsraten in Grenzen halten. Zusätzlich wird die sich weiter verflachende US-Zinskurve die Fed-Vertreter wohl dazu bewegen, letztlich eher weniger als mehr Zinsschritte zu avisieren. Die für die Fed Forward Guidance wichtige Punktewolke dürfte sich daher tendenziell eher nach unten verschieben und somit weniger Zinsanhebungen signalisieren.

Ausblick

An diesem Punkt dürfte dann die Zeit gekommen sein, um bei EM-Anleihen und vielleicht auch bei europäischen Aktien wieder stärker ins Risiko zu gehen. Im Gegenzug sollte sich die Risikoprämie bei Bunds dann entsprechend abbauen und die Renditen etwas höher tendieren. Zum Jahresende sehen wir 10-jährige Bundesanleihen weiter bei ca. 0,75 % und europäische Aktien einige Prozentpunkte über den derzeitigen Niveaus.