Konjunktur und Märkte: Gratwanderung der EZB

Bernhard Grünäugl, Volkswirt und Makro-Stratege der BayernInvest, über aktuelle Konjunktur- und Marktentwicklungen

 

In der Eurozone bereiten die konjunkturellen und politischen Entwicklungen der EZB zunehmend Sorgen. Während kurzfristig weitere Irritationen auch für die Kapitalmärkte wahrscheinlich erscheinen und die internationalen Kapitalströme wohl zugunsten des US-Dollar-Raums ausfallen dürften, verschieben sich die Zinsanstiegserwartungen im Euro-Raum weiter in die Zukunft. Bunds bleiben daher vorerst wohl gut unterstützt, während Spreads von Staats- und Unternehmensanleihen volatiler werden.

Dilemma der EZB

Die EZB steht vor einem Dilemma. Während sich die Wachstumsaussichten für die Eurozone zuletzt deutlich eingetrübt haben, verschrecken die Pläne der populistischen Regierungskoalition in Italien die Investoren. Gleichzeitig liegt die für die EZB entscheidende Kerninflationsrate weiter deutlich unterhalb der Zielmarke und zeigt bislang bestenfalls zaghafte Anzeichen einer Aufwärtstendenz.

Auslaufen des QE-Programms erwartet

Trotz dieser Rahmenbedingungen wird die EZB ihr Anleihekaufprogramm zum Jahresende 2018 auslaufen lassen. Immerhin besteht auch nach dem Ende der Nettokäufe die Möglichkeit, über flexibleres Reinvestieren der Fälligkeiten Einfluss auf die Renditeentwicklung an den Kapitalmärkten zu nehmen. Auch die weiteren Wachstumsaussichten beurteilt die EZB – trotz der jüngsten Abschwächung – noch als solide genug, um an der aktuellen Planung festzuhalten.

Dennoch gilt: Die Abwärtsrisiken für die Eurozone haben in den vergangenen Monaten weiter zugenommen. Der höhere Ölpreis schmälert das verfügbare Einkommen der Konsumenten und Umfragen unter europäischen Unternehmen deuten darauf hin, dass die Gewinnmargen zunehmend unter Druck geraten.

Entwicklungen in Italien

Gleichzeitig bergen die Vorhaben der italienischen Regierungskoalition aus Lega & 5 Sterne die Gefahr, dass die Schuldentragfähigkeit des Landes offen in Frage gestellt wird. Immerhin würden die in der Koalitionsvereinbarung vorgesehenen zusätzlichen Staatsausgaben in Milliardenhöhe und das tendenziell niedrigere Renteneintrittsalter den ohnehin bereits beachtlichen Schuldenberg weiter anwachsen lassen und nebenbei das relativ niedrige längerfristige Wachstumspotenzial schmälern.

In der Folge würde die Schuldenquote in den nächsten Jahren wohl die 150-Prozent-Marke des BIP anpeilen (aktuell rund 130 Prozent). Noch gefährlicher ist jedoch die Idee der sogenannten Mini-BoTs, denn diese könnten letztlich einer neuen italienischen Parallelwährung gleichkommen. 

Spread-Anstieg italienischer Staatsanleihen abgeschlossen?

Über politische Appelle hinaus sind die Möglichkeiten der europäischen Partner jedoch begrenzt, was die Einflussnahme auf die italienische Politik angeht. Skepsis scheint demnach durchaus angebracht, ob der Spread-Anstieg italienischer Anleihen und die anschließende Erholung bereits das Ende der Entwicklung darstellen. 

Nachhaltiger Renditeanstieg vorerst unwahrscheinlich

Insgesamt verstetigen die konjunkturellen und politischen Entwicklungen der Eurozone (zusätzlich zur Brexit- und Zollthematik) aber weiter das Niedrigzinsumfeld; auch in 2020 wird der Einlagensatz daher wohl noch immer im negativen Bereich liegen.

Ein nachhaltiger Renditeanstieg, in dem die Verzinsung 10-jähriger Bundesanleihen wieder deutlich über die 1-Prozent-Marke steigt, wie es einige Marktteilnehmer kurzfristig erwarten, scheint daher vorerst äußerst unwahrscheinlich.

Der ölpreisgetriebene Anstieg der Euro-Inflation in den Sommermonaten spricht allerdings dafür, dass wir uns mittelfristig wieder in die Spanne zwischen 0,5 und 0,8 Prozent hineinbewegen sollten. Auch der weiterhin extreme Renditeunterschied zwischen deutschen und US-Staatsanleihen ist ein Argument für einen leichten Anstieg.

 S Treasuries als Alternative

An der 3-Prozent-Marke für 10jährige Anleihen dürfte der Zinsanhebungspfad der Fed bei US-Treasuries weitgehend eingepreist sein. Damit bieten sie sich zunehmend wieder als Alternative – auch für Bundesanleihen – an. Insbesondere für Investoren, die aufgrund des Niedrigzinsumfelds in den letzten Jahren notgedrungen auf riskantere Anlagen ausgewichen sind, sind die 3 Prozent im US-Dollar-Staatsanleihesegment jedoch reizvoll.

EM-Währungen und -Staatsanleihen unter Druck

Deutlich zu spüren bekam dies in den vergangenen Wochen auch das Emerging Markets-Segment (EM). Hohe Mittelumschichtungen, mutmaßlich zugunsten von US-Papieren, erzeugten Druck auf EM-Währungen und -Staatsanleihen. Besonders fundamental schwächere Länder wie Argentinien oder die Türkei, die auf ausländische Investoren setzen, um ihre Leistungsbilanz- und Haushaltsdefizite zu finanzieren, gerieten ins Schwanken und reagierten mit deutlichen Zinsanhebungen.

Ein Großteil der notwendigen Anpassung dürfte allerdings inzwischen in den Bewertungen von EM-Anleihen eingepreist sein. Bezogen auf ihre Leistungsbilanzdaten befindet sich die Mehrheit der Emerging Markets in einer fundamental besseren Situation als noch vor wenigen Jahren. Auch der Wachstumsvorsprung gegenüber entwickelten Ländern sollte Bestand haben und spricht – neben den positiven Diversifikationseffekten, die EM-Bonds auf Rentenportfolios haben – für ein langfristiges EM-Engagement.

Fazit

Nach der Aktienkorrektur im Februar und den Mittelabflüssen aus EM seit April haben zuletzt die Peripherie-Staatsanleihemärkte zu spüren bekommen, dass der Gegenwind an den Kapitalmärkten rauer wird. Auch in den nächsten Monaten ist weiter mit volatilen Bedingungen zu rechnen – was im Gegenzug vermeintlich sichere Häfen wie bspw. US Treasuries stützen sollte.