BayernInvest | Konjunktur & Märkte
14.09.2022
Weiter im Sog der Notenbanken
Auch nach dem historischen Zinsschritt der EZB sind weitere Leitzinsanhebungen dies- und jenseits des Atlantiks vorgezeichnet. Bis Jahresende werden die beiden Notenbanken die jeweiligen Zinssätze in den restriktiven Bereich angehoben haben – im Euroraum wird der Einlagensatz wohl 1,75% betragen, in den USA werden die Fed Funds um 4% liegen.
Die Zinsstrukturkurven dürften sich vom kurzen Ende also weiter verflachen bzw. invertieren, Aktien- und Creditmärkte bleiben vorerst unter Druck. Bis zur Mitte des 4. Quartals und den dann terminierten Risikoereignissen (Fed/EZB Sitzung, US-Midterm-Wahl) bleibt unsere Empfehlung einer vergleichsweise defensiven Portfolioallokation mit überdurchschnittlichen Kassaquoten entsprechend erhalten. Erst dann rechnen wir im Basisszenario damit, dass sich die Vorzeichen an den Kapitalmärkten drehen und Durations-, Credit- und Aktienrisiken nachhaltig attraktiver werden.
Wie in den letzten Monaten bleibt das Szenario aber vom Inflations- und Notenbankausblick abhängig und im aktuellen Umfeld somit insbesondere in der Eurozone mit entsprechender Unsicherheit versehen. Die Volatilität an den Kapitalmärkten bleibt hoch, damit sind taktische, situative Allokationsanpassungen möglich.

Von Bernhard Grünäugl,
Leiter Investment Strategy und ESG Research der BayernInvest

Inhalte
- Leitzinsentscheidungen und Inflationsprognosen
- Gas- und Strommarkt
- Lieferketten und Preismacht
- US-Treasuries und deutsche Bundesanleihen
Seit Anfang August 2022 sind die Zinsen an den Kapitalmärkten erneut stark angestiegen. Nach dem Tief bei etwa 0,7% notieren 10-jährige Bunds mittlerweile wieder nahe der Jahreshochs um 1,70%. Am kurzen Ende war der Anstieg von 0,2% auf 1,35% für 2-jährige Bundesanleihen fast noch ausgeprägter. Auch wir hatten – wie in der letzten Ausgabe dieses Newsletters dargelegt – steigende Renditen über den Sommer erwartet, da mit erneuten Gaslieferungen aus Nord Stream 1 und damit reduzierten Sorgen vor einer tiefen Rezession zu rechnen war. Die Eskalation am Strommarkt und die nochmalige Verschärfung des geldpolitischen Straffungskurses der EZB bei gleichzeitigem Ausblenden der damit verbundenen weiteren Eintrübung des Konjunkturausblicks hatten wir so aber nicht erwartet. Der Renditeanstieg insgesamt ist damit stärker ausgefallen als von uns noch im Juli 2022 unterstellt.
Mit der Anhebung der Leitzinssätze um 0,75% hat die EZB vergangene Woche den von den geldpolitischen Falken seit der Notenbank-Konferenz in Jackson Hole geäußerten Worten Taten folgen lassen. Auch im Oktober 2022 ist eine Anhebung des EZB-Leitzins um 75bp wahrscheinlich, da sich der Inflationsausblick bis dahin kaum aufgehellt haben dürfte.
Bis Jahresende wird dann noch ein weiterer Schritt erfolgen. Die Größe hängt davon ab, ob die Wirtschaft bis dahin bereits schrumpft und die Inflationsraten in der Eurozone ihre Spitze erreichen – wie von uns erwartet – oder ob sich dies noch nicht so deutlich abzeichnet, dass es sich im Handeln der EZB spiegeln müsste. Die im Rahmen der jüngsten EZB-Sitzung veröffentlichten Prognosen offenbaren, dass diese die Wachstumserwartungen für 2023 noch recht optimistisch einschätzt, während die unterliegenden Inflationsprognosen ein bis Jahresende 2022 hohes Niveau unterstellen dürften.

Zwar haben sich die Preise an den Märkten für Strom und Gas zuletzt von ihren im August erreichten Extremniveaus entfernt, dennoch ist es kaum realistisch, dass die Wirtschaft der Eurozone ein Abgleiten in die Rezession wird vermeiden können. Der Schaden dürfte bereits entstanden sein und auch durch die Anstrengungen der Fiskal- und Wirtschaftspolitik (Entlastungspaket 3 der Bundesregierung, Eingriffe in den Strom- und Gasmarkt) kaum geheilt werden.
Der erneute Lieferstopp russischen Gases, der diesmal im Gegensatz zu Juli von dauerhafter Natur zu sein scheint, dürfte die Erwartungen zusätzlich verfestigen, dass – ohne die Annahme eines extrem milden Winters und trotz der erreichten Füllstände der Gasspeicher – freiwillige oder erzwungene Maßnahmen zur Reduktion des Gasverbrauchs notwendig werden dürften. In beiden Fällen läuft es auf eine geringere Produktionstätigkeit der Industrie und anderer energieintensiver Branchen hinaus.
Hinzu kommt: Selbst bei einer weiteren Normalisierung des Strommarktes, von der man ausgehen sollte, kostet der im Vorjahresvergleich entstehende Preisauftrieb Konsumenten und Unternehmen eine Menge. Eine grobe Annäherung auf Basis des jährlichen Stromverbrauchs der deutschen Wirtschaft deutet auf eine Größenordnung von rund 4% des BIP hin, die über die Zeit – je nach Frequenz der Anpassung des Stromtarifs, der Geschwindigkeit der unterstellten Normalisierung des Strommarktes und des Importanteils an der Wertschöpfungskette – als zusätzliche Kosten auf die Verbraucher zukommen könnte. Ein dickes Minus für den Wirtschaftsstandort!

Die jüngsten prominenten Insolvenzen im Einzelhandel bzw. Konsumgütergeschäft deuten bereits an, dass der Kostenauftrieb Unternehmen mittlerweile an die Substanz geht und eine Weitergabe gestiegener Kosten an die Endverbraucher nicht mehr ohne weiteres möglich ist. Mehr Härtefälle könnten in den kommenden Monaten folgen. In jedem Fall dürfte aber klarer werden, dass der Spielraum für eine Lohn-Preis-Spirale, die durch stark steigende Reallöhne der Konsumenten angesichts weiterhin enger Arbeitsmärkte entsteht zunehmend unrealistisch wird. Ganz im Gegenteil, der Arbeitsmarkt dürfte sich in den kommenden Quartalen abschwächen.

Berücksichtigt man den Zeitverzug in der Wirkung der Geldpolitik und die deutlich sichtbaren Rezessionssignale, dürften sich im Rückblick die Schritte der EZB dann wohl als weiterer Politikfehler herausstellen. Erst zu lange gezögert, dann zu stark reagiert.
Solange jedoch mit realisierten Inflationsraten und dem Blick auf den Arbeitsmarkt nachlaufende Indikatoren den Kurs der Geldpolitik bestimmen, bleiben die Kapitalmärkte im Fahrwasser der steigenden Leitzinsen und damit einhergehenden tieferen Rezessionssorgen gefangen.
Ein Lichtblick in dieser Hinsicht, der uns zu der Einschätzung bringt, dass im 4. Quartal eine nachhaltigere Richtungsänderung an den Kapitalmärkten anstehen könnte, bringt unter anderem der Blick in die USA. Dort ist der Höhepunkt des Inflations-Tsunamis bereits erreicht.
Selbst ohne Verweis auf die dort zuletzt rückläufigen Benzin- und Gebrauchtwagenpreise ist anzunehmen, dass die US-Teuerungsrate wieder komfortablere Niveaus ansteuert. Die dysfunktionalen Lieferketten sorgten nicht zuletzt dafür, dass ein hoher Anteil der über die Weltmeere verschifften Güter in den letzten Quartalen auf unbewegten Schiffen stecken blieb. In der Regel, weil die Hafenkapazitäten keine Be- oder Entladung zuließen. Aktuell liegt der Anteil noch immer bei 10% der Güter!
Mittlerweile entspannen sich aber die Lieferketten, wie beispielsweise massiv fallende Containerfrachtraten oder der zusammenfassende Lieferkettenindex der NY Fed belegen. Auf der einen Seite sinkt die Nachfrage und Neubestellungen gehen zurück, auf der anderen Seite werden in den kommenden Wochen und Monaten zahlreiche bestellte aber noch nicht ausgelieferte Produkte in den Lagerhallen der Endabnehmer ankommen. Just in dem Moment, in dem die Endkunden den Gürtel enger schnallen müssen. Letzteres spricht für sich genommen bereits für fallende Preismacht der Unternehmen, zusammen mit sich auffüllenden Lagern aber umso mehr.

Während dieses Argument sowohl für die USA als auch die Eurozone gilt, ist für die USA hinzuzufügen, dass die gestiegenen Hypothekenzinsen dort bereits Wirkung am Häusermarkt hinterlassen. Die Mietpreisentwicklung scheint sich zu verlangsamen, da mehr Angebot an zu verkaufenden bzw. zu vermietenden Einheiten auf eine fallende bzw. preissensiblere Nachfrage trifft.
Auch am US-Arbeitsmarkt gibt es Zeichen der Entspannung. Die Verfügbarkeit an Arbeitnehmern scheint sich zu verbessern, wie unter anderem das jüngste Beige Book der Fed andeutet, während die Lohndynamik nachlässt und auch in den USA konjunkturelle Frühindikatoren auf eine nachlassende Arbeitskräftenachfrage der Unternehmen hindeuten.

Die Fed dürfte daher zur Zinssitzung im November wohl das Tempo der Leitzinsanhebungen drosseln und das Gesamtvolumen der benötigten Zinsschritte nicht mehr weiter anheben, was ein Ende der Leitzinsanhebungen zum Jahresende erwarten lässt.
Dies dürfte der Moment sein, ab dem die Kapitalmärkte zuversichtlicher nach vorne blicken. Und auch aus europäischer Sicht dürfte dies für Entspannung sorgen, denn die in den USA im Vergleich zur Eurozone schneller fallenden Inflationsraten und der daraus resultierende Spielraum für die Fed dürften den Euro gegenüber dem Greenback aufwerten lassen, was in 2023 und 2024 zu verringertem importierten Inflationsdruck auch in der Eurozone führen sollte. Eine Aufwertung von 10 – 20% in Vergleich zu den aktuellen Niveaus scheint realistisch.
Während die EZB in der Regel von unveränderten Wechselkursen in ihren Inflationsprognosen ausgeht, sollte eine 10%ige Aufwertung des Euros die Inflation im Euroraum spürbar um gut 0,5 Prozentpunkte in 2023 drücken. Insbesondere in 2024 dürfte die Inflation dann wieder unterhalb des EZB-Ziels liegen.

Per Saldo spricht dies dafür, dass Aktien-, Credit- und Durationsrisiken mittelfristig wieder attraktiv werden. An unserer Erwartung fallender Renditen für Bunds und Treasuries in 2023 halten wir entsprechend grundsätzlich ebenso fest, wie an der Einschätzung, dass Aktien im kommenden Jahr wieder deutlich werden zulegen können.
Die bereits seit einigen Monaten fallenden Notierungen der Industriemetalle sind nicht nur als konjunktureller Frühindikator, sondern auch in dieser Hinsicht relevant, da der langjährige enge Gleichlauf zwischen diesen und US-Treasuries darauf hindeutet, dass die US-Renditen aktuell zu hoch gestiegen sind. Auf dieser Basis sollten die 10-jährigen US-Treasuries eher im Bereich 2 – 2,5% rentieren.

Analoges gilt für deutsche Bundesanleihen. Auf Basis makroökonomischer Faktoren sollten Bunds 10-jähriger Laufzeit in 2023 wieder deutlich unter die 1%-Marke fallen. Aber auch in der Eurozone sind die Inflationserwartungen zuletzt rückläufig. Zum Teil dürfte dies auf die Aussicht auf weitere Leitzinsanhebungen der EZB zurückzuführen sein, mehr noch aber auf die konjunkturellen Aussichten. Auch in dieser Hinsicht sollten Bund-Renditen wieder tiefer korrigieren.

BayernInvest Asset Allokation-Empfehlung

Ihr
Bernhard Grünäugl
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