BayernInvest | Konjunktur & Märkte

20.06.2022

Käuferstreik im Rentenmarkt – EZB als Streikbrecher?

Der Kollaps des Rentenmarktes zerrt an den Nerven. Vorerst ist wenig Besserung in Sicht, die Dynamik des Renditeanstiegs ruft aber auch die EZB auf den Plan, den selbst entlassenen Flaschengeist wieder einzufangen. Insbesondere am kurzen Ende der Zinsstrukturkurve sind die Renditen rasant gestiegen und könnten kurzfristig sogar noch weiter klettern, solange die Inflationsraten keinen Richtungswechsel vornehmen. Auch die Risikoaufschläge bei Staatsanleihen der EWU-Peripherie oder bei Unternehmensanleihen weiten sich aus. Trotz der jüngsten Dynamik sind die Chancen einer nachhaltigen Trendumkehr für die kommenden Tage und Wochen gering, denn das Chance-Risiko-Verhältnis am Rentenmarkt bleibt asymmetrisch. Dass die EZB der Fragmentierung im Euroraum entgegenwirken möchte, darf aber als positives Signal gewertet werden und macht Anleihen der EWU-Peripherie attraktiver. Es gibt ihn also noch, den Zentralbank-Put!

Von Bernhard Grünäugl,
Leiter Investment Strategy und ESG Research der BayernInvest



Gleichzeitig ist der jüngste Käuferstreik am Rentenmarkt unseres Erachtens ohnehin als Übertreibungsphase zu werten. Die Anzeichen einer deutlicheren konjunkturellen Abkühlung mehren sich und auch die Inflationsraten werden in den kommenden Monaten einen Trendwechsel hin zu fallenden Raten aufweisen. Damit auch die Kapitalmärkte in ruhigeres Fahrwasser gelangen, muss die (erhoffte) Stabilisierung der Teuerungsraten und die damit verbundene Aussicht auf eine nachlassende Dynamik der immer restriktiver werdenden Geldpolitik aber durch eine Reihe an Datenpunkten bestätigt werden. Denn auf der anderen Seite besitzen die Risikofaktoren, die für weiterhin hohe Inflationsraten sprechen – Geopolitik & Energiepreise, Lieferketten & Chinas Zero-Covid-Strategie – vorerst unvermindert Gültigkeit.

Es ist daher aktuell noch geboten, die aktiven Risiken in Anlageportfolien über alle Anlageklassen weiter gering zu halten. Erst im späteren Jahresverlauf rechnen wir damit, dass sich an den Kapitalmärkten höhere Duration und Aktienquoten wieder bezahlt machen.

Die Aussagen der EZB im Rahmen der letzten geldpolitischen Sitzung waren deutlich. Die Leitzinsen werden, nach 25 Basispunkten im Juli, im September um 50 Basispunkte angehoben – außer die Inflation und die Inflationsprognosen gehen bis dahin deutlich stärker zurück, als es in den EZB-Projektionen ohnehin enthalten ist. Im vierten Quartal könnte die EZB den Leitzins so auf deutlich über ein Prozent geschraubt haben, sollte sich das Zeitfenster für Zinsanhebungen zuvor nicht geschlossen haben. Wir gehen zwar davon aus, dass nach den EZB-Zinsschritten im Juli und September, die den Einlagensatz auf dann +0,25% heben werden, die EZB im 4. Quartal 2022 den Einlagensatz „nur“ um weitere 50 Basispunkte anheben wird. Allerdings besteht aus heutiger Sicht das Risiko, dass EZB-Kommunikation und Kapitalmärkte angesichts der Aussicht auf Inflationsraten, die bis September nur moderat fallen dürften, einen noch steileren Zinspfad einpreisen als bereits erfolgt.

Zuletzt ist die Inflationsrate in der Eurozone über die 8-Prozent-Marke geklettert. Auch die US-Teuerung ist höher ausgefallen als erwartet. Zusammen dürfte dies den Anstoß geliefert haben, dass die EZB mit ihrer erneut beschleunigten geldpolitischen Straffung den ultimativen Auslöser für den jüngsten Renditesprung am Rentenmarkt geliefert hat. Die Verzinsung 10-jähriger Bundesanleihen hat alleine seit Anfang des Monats um etwa 70 Basispunkte zugelegt, US-Staatsanleihen gleicher Laufzeit rentieren knapp 60 Basispunkte höher und neben einer deutlichen Kurvenverflachung sind es insbesondere die Staatsanleihen der EWU-Peripherie (Italien 10j +110 Bp, Spanien +100 Bp) die den größten Renditeanstieg zu verzeichnen haben. Dies sind insgesamt düstere Entwicklungen am Rentenmarkt, die die Schuldentragfähigkeit hochverschuldeter Emittenten in Frage stellen.

Über Sinn und Unsinn der Leitzinsanhebungen im Kontext einer überwiegend von externen Faktoren getriebenen Teuerungswelle zu diskutieren wäre müßig, offenbar haben die Befürworter höherer Leitzinsen derzeit wenig Gegengewicht in den geldpolitischen Entscheidungsgremien. Wer dafür plädiert, dass angesichts hoher Inflationsraten von den Hütern der Preisstabilität höhere Leitzinsen eingefordert werden müssen, hofft, dass die daraus resultierende Wachstumsabschwächung inflationsdämpfend wirkt. Heißt, eine Rezession wird als notwendiges Übel betrachtet, um die Teuerung zu bremsen und zurück in den Zielkorridor zu bringen. Und da die externen Faktoren sich kaum von höheren EZB-Leitzinsen beeinflussen lassen, muss die von der Geldpolitik erzeugte Rezession tiefer ausfallen, als es bei einer klassischen nachfragegetriebenen Inflationsspirale der Fall wäre, um den gewünschten Effekt auf die Inflationsrate zu erzeugen.

Dadurch offenbart sich aber auch ein deutlicher Widerspruch in der aktuellen Geld- und Fiskalpolitik. Denn während die EZB (scheinbar notgedrungen) versucht, die Inflationserwartungen dadurch zu dämpfen, dass die Wirtschaft gebremst wird, versuchen die Finanzminister die Kaufkraft der Konsumenten durch Inflationsentlastungspakete zu erhalten, was den geldpolitischen Maßnahmen entgegenwirkt.

Dennoch ist der Mix der Politik einerseits kurzfristig inflationsdämpfend (bzw. inflationsverzerrend) und mittelfristig schädlich für die Konjunktur und reduziert somit die längerfristigen Inflationserwartungen. Nimmt man die derzeitigen Ausweitungen bei den italienischen Risikoaufschlägen und die politische Komponente der italienischen Wahlen im Frühjahr 2023 zum sich eintrübenden Konjunkturbild hinzu, so bekräftigt dies unsere Erwartung, dass sich das Zeitfenster für Leitzinsanhebungen im weiteren Jahresverlauf schließen wird.



Die EZB hat zuletzt mit einer eilig einberufenen Sondersitzung auf die Dynamik des Renditeanstiegs und der Ausweitung der Risikoaufschläge bei EWU-Staatsanleihen reagiert. Nicht mit konkreten Maßnahmen, dennoch darf die Sitzung als Signal an die Kapitalmärkte gewertet werden, dass die EZB noch immer als „Käufer letzter Instanz“ am Rentenmarkt zur Verfügung steht. Starke Spreadausweitungen sind also noch immer als ultimative Kaufgelegenheiten zu werten.

Dass marktbasierte Inflationserwartungen (5y5y) sich seit ihrem Hoch im April bei etwa 2,5 Prozent auf zuletzt 2,1 Prozent abgekühlt haben, zeigt, dass einzelne Marktsegmente bereits einen realistischeren Blick auf die kommenden Entwicklungen einnehmen.

Dies gilt aber nicht für alle Bereiche des Rentenmarktes und kurzfristig besteht das Risiko, dass sich die Zinsstrukturkurven sowohl im Euroraum als auch in den USA weiter verflachen und auch die Aktienmärkte dürften weiterhin im Fahrwasser der Renditen gefangen sein. Deutlich rückläufige Renditen sind vorerst nicht zu erwarten, auch wenn mittelfristig unseres Erachtens weiterhin vieles dafür spricht, dass die derzeitigen Renditeniveaus übertrieben hoch sind.

Neben konjunkturellen Indikatoren gibt es Hinweise darauf, dass europäische Unternehmen in Zukunft ihre Preisgestaltungsmöglichkeit etwas schlechter einschätzen. Ein Trend, der sich in den kommenden Monaten verstärken dürfte und der als Indikator für dann rückläufige Kerninflationsraten angesehen werden kann.

Wie jeder Streik dürfte also auch der derzeitige Käuferstreik am Rentenmarkt enden. Und vermutlich wird er mit etwas aufgebesserten Konditionen für die Käufer enden. Bis dahin gilt es aus Portfoliogesichtspunkten die (aktiven) Risiken vorerst noch gering zu halten – allerdings dürften in 2022 noch ordentliche Kursgewinne auch im Rentenmarkt zu vereinnahmen sein.



Gleiches gilt letztlich auch für den Aktienmarkt: Während die Aktienmarktschwäche der letzten Monate auf eine Kontraktion der Gewinnmultiplikatoren als Spiegelbild der gestiegenen Renditen im Rentenmarkt zurückzuführen ist, sind die Unternehmensgewinne und Unternehmensgewinnerwartungen bis zuletzt weiter gestiegen.

Für die kommenden Quartale dürften zwar die Gewinnerwartungen unter Druck geraten, wenn eine nahende Rezession in die Schätzungen eingearbeitet werden muss. Auf der anderen Seite sollten die dann zu erwartenden und von uns prognostizierten rückläufigen Renditen im Umfeld weniger aggressiver Notenbanken stabilisierend wirken.

Auch für den Aktienmarkt sind die kommenden Tage und Wochen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von anhaltend hoher Volatilität geprägt. Mit Blick auf die kommenden Quartale dürften sich allerdings unseres Erachtens wieder deutlich bessere Zeiten und steigende Kursniveaus einstellen. Auf aktuellem Indexlevel scheint eine Gewinnkontraktion europäischer Unternehmen (Euro Stoxx 50) über die nächsten 18 Monate auf die Niveaus von Ende 2021 bereits weitgehend eingepreist zu sein. Das Chance-Risiko-Profil stellt sich daher bereits aus heutiger Sicht im Aktienmarkt positiver dar als im Rentenmarkt. Wir rechnen über die kommenden Monate per Saldo mit (zumindest) moderat steigenden Notierungen im Aktienmarkt.


Fazit

Kurzfristig bleiben die Märkte angeschlagen, mittelfristig sehen wir ein attraktiveres Chance-Risiko-Verhältnis. Je nach Risikoneigung und Risikotragfähigkeit raten wir daher dazu, vorerst noch die (aktiven) Risiken in Anlageportfolios gering zu halten und erst in den kommenden Monaten eine risikofreundlichere Ausrichtung einzunehmen, wenn rückläufige Inflationsdaten zu nachlassenden Notenbanksorgen führen.


Ihr
Bernhard Grünäugl


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